Trans -- what?

Eine -- ganz sicher nicht -- umfassende Darstellung des Phänomens "TransGender"

transwhat3.jpg (25920 Byte)Von Anita-Daniela Krappel

Ängstlich beobachtet Vivian das Geschehen vor sich. Sie hat immer ein ungutes Gefühl, wenn sie über die Grenze fährt. Nein -- nicht wegen ihres klapprigen Autos, dem man sein Alter von mittlerweile 20 Jahren doch deutlich ansieht. Das hat noch nie einen Zöllner gestört. Sie hat auch keinerlei Waren mit, derentwegen sie hätte Bauchweh haben müssen. Noch sieht sie "verdächtig" aus -- ganz im Gegenteil: Eine hübsche, aparte Frau, deren Anblick das Herz mancher Mitmenschen deutlich rascher schlagen läßt. Und doch ...

Der Name Vivian gefällt ihr übrigens nicht besonders gut. Sie würde viel lieber Marlene heißen, auch Esther fände sie hübsch. Aber wer kann sich seinen Namen schon aussuchen? Sie hat sich schlußendlich doch für Vivian entschieden ...

"Ihren Reisepaß bitte", hört sie den Zöllner sagen. Er blättert ihn kurz durch, ohne wirklich hineinzusehen. "Danke. Gute Fahrt!" Sie spürt, wie die Anspannung nachläßt. Ein Lächeln. Weiterfahrt. Dieses verdammte Wort ...

Eigentlich hat sie es heute schon leichter als noch vor ein paar Monaten. Da wäre sie auch nicht ins Ausland gefahren. An den Standardsatz bei Verkehrskontrollen hatte sie sich auch schon gewöhnt: "Ich hätte gerne Ihren Führerschein -- nicht den Ihres Gatten!" Und sie hatte auch schon einige Übung darin, den Beamten zu erklären, daß dieser junge Mann mit Vollbart, der aus dem Führerschein herausgrinste, sehr wohl sie war ...

Vivian ist eine von mehreren tausend Menschen in Österreich, für die die traditionellen Kategorien der Geschlechtereinteilung nicht ausreichen. Viele Begriffe werden verwendet und oft durcheinandergebracht: Transsexuell, Transident, TransGender, Transvestit, Travestie, DragQueen, DragKing -- oder auch nur ganz einfach Transe -- ihnen allen ist eines gemeinsam: Das biologische Geschlecht der betreffenden Menschen stimmt nicht mit dem -- daraus traditionellerweise erwarteten -- Aussehen überein. Sie alle sind Wanderer zwischen den gewohnten Geschlechterrollen von Frau und Mann. Manche kommen irgendwann an ein Ziel, manche werden diese Wanderung ihr ganzes Leben lang nicht beenden, sei es, daß sie nicht wissen wohin, sei es, daß sie ganz bewußt immer wieder bestimmte Wege gehen, sie aber auch wieder zurückgehen.

Das Phänomen, um das es in all diesen Fällen geht, ist "Identität" -- und nicht, wie fälschlicherweise oft angenommen wird, Sexualität. Letztere spielt in dieser Betrachtung eine untergeordnete Rolle -- das Sexualverhalten (= Partnerwahl, d.h. ob homo-, bi- oder heterosexuell) ist bei transidenten Menschen nicht anders als bei der Restbevölkerung. Um nun eine passende Bezeichnung für dieses Phänomen zu finden, können wir eine Anleihe im Englischen nehmen: Dort gibt es die Unterscheidung zwischen "sex" und "gender", zwischen dem körperlichen und dem mentalen Geschlecht, die uns in der deutschen Sprache so sehr fehlt, was zwangsläufig zu den bekannten Verwechslungen und Unklarheiten führen muß. Neben dem Begriff "Transidentität" hat sich in den letzten Jahren eben das aus dem Englischen kommende "TransGender" durchgesetzt.

Die Persönlichkeit eines Menschen ist ein sehr komplexes Gebilde, dementsprechend mannigfaltig sind auch die Erscheinungsformen der Transidentität. Abhängig von der Motivation, warum jemand sich auf diese Reise begibt, ergeben sich nun die Unterschiede. Ich möchte dies an den bereits oben angeführten Begriffen erklären, ohne jedoch irgend eine/n einzige/n in eine "Schublade" zu stecken. Auf der Verbindungslinie zwischen den Extrempunkten "Frau" und "Mann" gibt es unendlich viele Positionen, die mensch einnehmen kann. Und all diese verschiedenen TransGender-Ausdrucksformen sind gleichberechtigt und gleichwertig und verdienen unsere Wertschätzung, egal wie nah oder wie weit sie den traditionellen Rollenbildern stehen. Ja, ich möchte sogar noch weiter gehen und behaupte (nach einem Zitat von Beaudriard): "Wir alle sind Transsexuelle" -- niemand ist 100%ig Frau oder 100%ig Mann -- jede/r hat Elemente des anderen Geschlechts in sich.

Die Mehrzahl akzeptiert stillschweigend die Rolle, die ihnen die Gesellschaft aufgrund ihres biologischen Geschlechts zuweist. Die meisten kämen wahrscheinlich nie auf den Gedanken, überhaupt darüber nachzudenken. Andere jedoch setzen sich ganz bewußt über diese Normen der Gesellschaft hinweg oder sie denken, im falschen Körper zu stecken und hoffen, in einer anderen Rolle ihr Leben besser zu meistern.

Travestie-Künstler, DragQueens und DragKings führen ihrer Umwelt am deutlichsten vor Augen, daß eine biologische Frau auch Mann und umgekehrt sein darf. Interessanterweise wird diese Art des Identitätswechsels von der großen Mehrzahl der Bevölkerung durchaus akzeptiert. Der (vorgeschobene) Anlaß einer unterhaltsamen "Show", in der mensch seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse wiedererkennen und, zumindest als ZuschauerIn, ausleben kann -- ohne von anderen dafür diskriminiert zu werden?

Weit schwieriger haben es da all jene, die abseits von Bühne und Szene versuchen, ihre Identität zu verwirklichen. Die nun plötzlich einer -- nicht immer wohlwollenden -- Umgebung gegenüberstehen und dabei oft genug erfahren müssen, daß sie nur deshalb ausgegrenzt und lächerlich gemacht werden, weil die anderen ein Problem mit diesem Anderssein haben und damit nicht zurechtkommen. Und dabei ist es unerheblich, ob mensch dies als zeitweiligen "Ausflug" in eine gegengeschlechtliche Identität betrachtet (das, was mensch früher als "Transvestitismus" bezeichnet hat), oder sein Leben von Grund auf in dieser neuen Identität ausrichtet (das, was früher "transsexuell" hieß). In allen Fällen ist die Gefahr groß, als pervers und abartig abgestempelt zu werden und es bedarf oft eines großen Selbstbewußtseins, mit derartigen Situationen fertig zu werden.

Auch der Staat macht es den Betroffenen oft sehr schwer. Prinzipiell zuständig für das Wohlergehen ALLER seiner BürgerInnen, grenzt er viele aus, indem er im starren Schubladendenken Mann -- Frau verharrt. Unter bestimmten Voraussetzungen ist es zwar möglich, von einer Schublade in die andere zu hüpfen (Psychotherapie, Hormontherapie, geschlechtsanpassende Operationen, Namens- und Personenstandsänderung), alle anderen, die sich dieser teils qualvollen und oft nicht ungefährlichen Prozedur nicht oder nur teilweise unterziehen wollen, fallen durch den Rost. Ein "Dazwischen" kennt das Personenstandsrecht nicht. Es ist zwar nun möglich, einen sogenannten "geschlechtsneutralen" Vornamen anzunehmen -- z.B. "Chris" (Abkürzung für Christian und Christine) oder "Andrea" (im Italienischen ein männlicher Vorname!), oder auch Hansi, Franzi, Dominique, Vivian, Femke, ... -- eine Personenstandsänderung (weiblich ß à männlich) wird aber nur nach der sogenannten "geschlechtsanpassenden Operation" bewilligt. Selbst wenn mensch diese Operation anstrebt, wird ihr/ihm auferlegt, einen einjährigen "Alltagstest" (= Leben und Arbeiten in der neuen Identität) mit den alten Papieren zu absolvieren, was einen absolut inakzeptablen Zustand bedeutet! Und wenn mensch diese Operation nicht durchführen läßt (oder aus gesundheitlichen Gründen nicht durchführen lassen kann), wird sie/er sich ein Leben lang an das dumme Gesicht des Postlers gewöhnen müssen, daß da eine offensichtliche Frau als Empfängerin eines Briefes an "Herrn Andrea XY" unterschreibt.

Staatlich genehmigt diskriminiert.

Und auch Vivian wird wohl weiterhin ein ungutes Gefühl haben, wenn sie gezwungen ist, einen Ausweis vorzulegen. Denn obwohl sie wie eine Frau aussieht, wie eine Frau spricht und handelt, steht in ihren Papieren dieses verdammte Wort: "Geschlecht männlich".

Update 2011: Mittlerweile ist es moeglich, mit einigen Gutachten die Papiere auch ohne eine geschlechtsangleichende Operation aendern zu lassen.
An der grundsaetzlichen Thematik, auch der des Vornamens hat sich aber nichts geaendert.