OGH: Fortpflanzungsverbot für Lesben ist verfassungswidrig
14.04.2011 - 15:09, RKL
Antrag an den Verfassungsgerichtshof

OGH: Fortpflanzungsverbot für Lesben ist verfassungswidrig
Rechtskomitee LAMBDA: „Großartig und bahnbrechend“

Mit dem Gesetz über die eingetragene Partnerschaft (EP) wurde lesbischen Paaren (ob verpartnert oder nicht) die medizinisch unterstützte Fortpflanzung verboten. Der Oberste Gerichtshof hat jetzt beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung dieses Verbots wegen Verfassungswidrigkeit beantragt. Das Rechtskomitee LAMBDA (RKL), Österreichs Bürgerrechtsorganisation für homo- und bisexuelle sowie transidente Frauen und Männer, zeigt sich hocherfreut.

Christina Bauer ist österreichische und Daniela Bauer deutsche Staatsbürgerin. 2008 sind sie in Deutschland die eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen und anschliessend nach Wels in Oberösterreich gezogen.

Christina möchte durch medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Samenspende) ein Kind empfangen und Daniela hat dem, gerichtlich beglaubigt, zugestimmt. Beide freuen sich darauf, mit dem leiblichen Kind Christinas ein glückliches Familienleben zu führen. Doch der Gesetzgeber hat ihnen einen bösen Strich durch die Rechnung gemacht.

Mit Einführung der EP wurde medizinisch unterstützte Fortpflanzung in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ausdrücklich verboten. Strafe: bis zu EUR 36.000,-- Geldstrafe oder bis 2 Wochen Haft. Damit wird Frauen (unter Strafandrohung) die Fortpflanzung verboten, bloß weil sie mit einer anderen Frau, und nicht mit einem Mann, in einer Partnerschaft leben. Lesbischen Frauen (auch alleinstehenden), denen ein Geschlechtsverkehr entgegen ihrer sexuellen Orientierung (und bei Paaren entgegen ihres Treueversprechens) nicht zumutbar ist, wird praktisch jede Fortpflanzung untersagt.

Daniela & Christina Bauer haben 2010 beim Bezirksgericht Wels beantragt, die Zustimmung Danielas zu gerichtlichem Protokoll zu nehmen (eine der gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der medizinisch unterstützten Samenspende). Das Bezirksgericht hat den Antrag im März 2010 abgewiesen und das Landesgericht Wels im Juni 2010 diese Abweisung bestätigt. Es sei weder die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt noch die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union (Deutschland kennt kein entsprechendes Fortpflanzungsverbot).

Der Oberste Gerichtshof sieht das anders. Mit dem soeben zugestellten Beschluss stellt er an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, in § 2 Abs. 1 Fortpflanzungsmedizingesetz die Wortfolge „von Personen verschiedenen Geschlechts“ als verfassungswidrig aufzuheben (OGH 22.03.2011, 3 Ob 147/10d).

Adoption erlaubt, Samenspende verboten

Das Gesetz „verschließt“, so der OGH, „Frauen, die mit einer Frau in einer Partnerschaft leben, eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung und schließt sie damit von der Möglichkeit aus, Kinder zu haben und aufzuziehen“. Der OGH bezieht sich auf den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR), der betont, dass das Recht „ein Kind zu bekommen und sich zur Erfüllung des Kinderwunsches die Errungenschaft der Fortpflanzungsmedizin zunutze zu machen“ von der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8) geschützt ist und dass der Wunsch nach einem Kind einen besonders wichtigen Aspekt der Existenz oder der Identität eines Menschen darstelle (S.H. gg. Österreich 2010).

Zudem habe der EGMR im Vorjahr ausgesprochen, dass auch gleichgeschlechtliche Paare „Familie“ sind und den grundrechtlichen Schutz des Familienlebens (Art. 8 EMRK) genießen (Schalk & Kopf gg. Österreich 2010; P.B. & J.S. gg. Österreich 2010). Kinder werden entweder durch Geburt oder durch Vertrag (Adoption) Teil einer Familie. Die Adoption durch einen Teil eines homosexuellen Paares sei nicht nur in Österreich gesetzlich erlaubt sondern für ganz Europa auch ein Menschenrecht (EGMR: E.B. gg. Frankreich 2008). Damit erscheine es nicht sachgerecht, in einer homosexuellen Beziehung lebenden Frauen die Geburt eines Kindes mittels medizinisch unterstützter Fortpflanzung zu verbieten.

Das Gesetz, so der OGH, erscheine daher verfassungswidrig, „soweit dadurch die medizinisch unterstützte Fortpflanzung für eine in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebenden Frau ausgeschlossen und dieser aufgrund ihrer sexuellen Orientierung die Möglichkeit genommen wird, einen Kinderwunsch zu erfüllen“.

Zwei Anträge am VfGH

Der VfGH hat nun über zwei Anträge auf Aufhebung des Inseminationsverbots für lesbische Frauen zu entscheiden.

Denn Daniela & Christina Bauer haben bereits Anfang 2010 beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung des unmenschlichen Gesetzes beantragt (G 14/10). In diesem Verfahren hat die Bundesregierung mit einstimmigem Beschluss das Fortpflanzungsverbot in einem von Bundeskanzler Faymann eigenhändig unterschriebenen Schriftsatz an den VfGH heftig verteidigt.

„Der Beschluss des Obersten Gerichtshofs ist großartig und bahnbrechend“, sagt der Präsident des RKL und Rechtsanwalt der beiden Damen Dr. Helmut Graupner, „Wir vertrauen darauf, dass nun der Verfassungsgerichtshof den Menschenrechten einen ebenso so großen Stellenwert beimisst wie der Oberste Gerichtshof“.

Das 1991 gegründete Rechtskomitee LAMBDA (RKL) arbeitet überparteilich und überkonfessionell für die umfassende Verwirklichung der Menschen- und Bürgerrechte gleichgeschlechtlich l(i)ebender Frauen und Männer. In seinem Kuratorium vereinigt es so prominente Mitglieder wie Altbundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer, Nationalratspräsidentin Mag. Barbara Prammer, die vormalige Justizministerin Mag. Karin Gastinger, den Ehrenpräsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates NRAbg.a.D. Dr. Peter Schieder, Volksanwältin NRAbg.a.D. Mag. Terezija Stoisits, den vorm. Wiener Landtagsabgeordneten Marco Schreuder, den vorm. Generaldirektor für öffentliche Sicherheit Dr. Erik Buxbaum, die vorm. Präsidentin der österreichischen Richtervereinigung Dr. Barbara Helige sowie die Vorsitzende der FG Grundrechte der Richtervereinigung Dr. Mia Wittmann-Tiwald, die Vizepräsidentin der Rechtsanwaltskammer Wien Dr. Elisabeth Rech, den vorm. Vorstandsvorsitzenden der D.A.S.-Rechtsschutzversicherung Dr. Franz Kronsteiner, den Präsidenten des Weissen Rings Dr. Udo Jesionek, den Generalsekretär von Amnesty International Österreich Mag. Heinz Patzelt, den Vizepräsidenten des Verwaltungsrats der EU-Grundrechteagentur Univ.-Prof. Dr. Hannes Tretter und die bekannten Menschenrechtsexperten Dr. Lilian Hofmeister und Univ.-Prof. Dr. Manfred Nowak, die Verfassungsexperten Univ.-Prof. Dr. Christian Brünner, Univ-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk, Univ.-Prof. Dr. Heinz Mayer und Univ.-Prof. Dr. Ewald Wiederin, den renommierten Kinder- und Jugendpsychiater Univ.-Prof. Dr. Max Friedrich und die Kinder- und JugendanwältInnen von Wien DSA Monika Pinterits und Dr. Anton Schmid, die Sexualwissenschafter Univ.-Prof. Dr. Josef Christian Aigner, Univ.-Prof. Dr. Rotraud Perner und Univ.-Lekt. Mag. Johannes Wahala, Life-Ball-Organisator Gery Keszler u.v.a.m. Das 15jährige Bestehen des Rechtskomitees LAMBDA (RKL) wurde über Einladung von NRPräs. Mag. Barbara Prammer am 2. Oktober 2006 mit einem historischen Festakt im Nationalratssitzungssaal des Parlaments in Wien gefeiert. Dieser weltweit ersten Ehrung einer homosexuellen Bürgerrechtsorganisation in einem nationalen Parlament wohnten unter den über 500 TeilnehmerInnen auch höchste RepräsentantInnen aus Justiz, Verwaltung und Politik bei (http://www.RKLambda.at/festakt/index.htm). Seit 2010 ist das RKL Mitglied der Grundrechteplattform der EU-Grundrechteagentur (www.fra.europa.eu).

Rückfragehinweis: 0676/3094737; 01/8766112, office@RKLambda.at, www.RKLambda.at

14.04.2011

86 Zugriffe Redaktion Transgender.at